Eine Erfolgsgeschichte von Roland Kern

Die Gründung: Auf der Suche nach der Fohlenweide

Nach dem Ersten Weltkrieg versuchte jeder Pferdehalter, der im Besitz einer Stute war, Fohlen zu ziehen. In der Pferdezucht für Gebrauchspferde gab es zwei Zuchtrichtungen, das Warmblut- und das Kaltblutpferd. Das Warmblutpferd als elegantes Reit- und Wagenpferd wurde damals schon angestrebt. Das Kaltblutpferd als schweres Ackerpferd. "Um aus diesen Fohlen gute Gebrauchspferde zu ziehen, mussten und sollten sie Weidegang haben." Mit diesem Satz hat Philipp Gassner, Gründungsmitglied und erster Chronist des Heddesheimer Reitervereins, die Notwendigkeit und den Zweck beschrieben, im Jahre 1924 in Heddesheim den Pferdezucht-, Reit- und Rennverein zu gründen.

Man sollte sich nicht vorstellen, dass es damals überall reichlich Pferdeweiden gab; in der Landwirtschaft war noch anders Geld zu verdienen, und eine Rosskoppel lag nur knapp über der Brache. Die Pferdezucht wollte sich noch nicht entscheiden: Ackergaul oder Sportpferd? Und um "zweigleisig" zu fahren, brauchten die Bauern Platz. Pferdeweiden. Noch konnten manche erahnen, aber keineswegs genau wissen, dass 20 Jahre später die Traktoren das Pferd vor dem Pflug endgültig zum Sport- und Freizeittier degradieren würden.

Die Heddesheimer Pferdezüchter brauchten also Weidegelände.

Zunächst hatten sie ein Gelände am Großsachsener Weg (der heutigen Straße von Hirschberg) ins Auge gefasst. Im "Ochsen" wurde 1923 bereits unter dem Vorsitz von Gustav Moos ein nicht eingetragener Verein gegründet - heute würde man den losen Zusammenschluß Gleichgesinnter wohl Interessengemeinschaft nennen. Das Problem war: Der damalige Heddesheimer Bürgermeister, der ebenfalls den Namen Moos trug, hatte das gewünschte Grundstück schon langfristig an die Baumschule Fleckenstein verpachtet. Dann kam es im Januar 1924 zu einer ereignisreichen Sitzung im Gasthaus "Zur Krone": Der Verband der Pferdezüchter wurde aufgelöst und sofort durch einen offiziellen "Pferdezuchtverein Heddesheim" ersetzt. Das war die Gründung des heutigen Pferdezucht-,Reit- und Rennvereins Heddesheim vor 75 Jahren. Der Anlass unseres heutigen Jubiläums! Erster Vorsitzender war Dr. Rolli, sein Stellvertreter Michael Kemmet. Schriftführer war Philipp Gassner, Rechner Wilhelm Kippenhan.

Die Druse

Die Druse ist unter Pferdezüchtern und -haltern gefürchtet. Es ist eine hochgradig ansteckende Erkrankung der Atemwege, oftmals von offenen, eitrigen Wunden begleitet. Es ist eine Fügung des Schicksals, dass der flächenweite Ausbruch der Druse in der Kurpfalz 1924 die Gründung des Pferdezuchtvereins Heddesheim begünstigt hat. Denn noch 1923 trieben die Heddesheimer Pferdezüchter ihre Fohlen auf die Verbandsweide in Mannheim-Neckarau. Erst als dort 1923 die Druse ausbrach, waren die Heddesheimer Züchter gezwungen, eine eigene Koppel zu suchen. Sie haben sie gefunden. Tragisch, aber wahr: Ohne diese schlimme Pferdekrankheit wäre der Heddesheimer Reiterverein vielleicht nie gegründet worden.

Die ersten Wiesen

Die Entstehungsgeschichte des Heddesheimer Reitrvereins ist eine Geschichte der organisierten Pferdezucht in der Gemeinde. Ohne die Notwendigkeit, Pferdekoppeln für die Züchter zu erstellen, damals früh erkannt, gäbe es den Verein wahrscheinlich heute nicht. Die ersten Monate drehten sich daher um solche Probleme: Gelände (das wurde auf den Stockwiesen und Kuhweidwiesen, heute zwischen der Ortsbebauung und dem Industriegebiet, gefunden), Einzäumung (das wurde mit Hilfe der Schriesheimer waldbesitzenden Züchterkollegen geschafft) und Betreuung der Fohlen (das übernahm der bis heute unvergessene Altkirchendiener Valentin Schubach).

1927 wurde das Koppelgelände mit einem Stall vervollständigt. Dann begann ein geregelter Koppelbetrieb. über die Sommermonate wurden täglich etwa 25 Fohlen aufgetrieben; Valentin Schubach wachte sorgsam darüber, bis in den 30er Jahren die Nationalsozialisten die Vereine in Deutschland "gleichschalteten" und damit lahmlegten. Auch der Pferdezucht-, Reit- und Rennverein war davon nicht verschont. Mit der Verfügung des Reichsnährstandes im Jahre 1933 wurde der Pferdezuchtverein aufgelöst, das Badische Pferdestammbuch wurde mit der Betreuung der Weide beauftragt.

Die Pferderennen

Die Wiesen der ersten Heddesheimer Pferdezüchter waren groß. Groß genug, um in der Region, ja in ganz Süddeutschland, bedeutende Pferderennen auszurichten, die dem Verein in den Anfangsjahren zu großem Ruhm verhalfen. Die ersten Heddesheimer Pferderennen gingen im Jahre 1925 über die vier zur Verfügung stehenden Koppeln. Die Rennstrecke war 450 Meter lang, an den Start gingen Warm- und Kaltblutpferde. Die Heddesheimer Pferderennen waren bis in die 60er Jahre hinein herausragende Pferdesportveranstaltungen in der Region. Der Ostermontag war meistens der große Renntag, erfolgreich im Jockey-Sattel waren auch einige Heddesheimer Reiter, unter anderem die später so erfolgreichen Springreiter Fritz Kippenhan und Fritz Fath. Der "Mannheimer Morgen" 1963: "Die Heddesheimer Rennbahn wird von Fachleuten als eine der besten in ganz Baden eingeschätzt. Sie ist in ihrer ganzen Länge hindernisfrei einzusehen und besitzt eine hervorragende Grasnarbe. Eine Tatsache, die nicht zuletzt dem rührigen Heddesheimer Reit- und Rennverein zuzuschreiben ist, der sich keine Mühe zu groß sein lässt, sein "Schmuckstück" in Schuss zu halten." Jeweils am Ostermontag jeden Jahres fanden die Heddesheimer Galopp- und Trabrennen statt und hatten in der Bevölkerung wahren Volksfest-Charakter.

Die Wiedergründung und die turniersportliche Orientierung

Da Vereinsgründer Dr. Rolli den Krieg nicht überlebt hatte, bestellte Bürgermeister Moos 1945 Hans Hoppner zum neuen Vorsitzenden. Der Weidebetrieb konnte recht schnell nach Kriegsende wieder aufgenommen werden. In den 50er Jahren, als die Reitervereine und Reitturniere ringsum aus dem Boden schossen, orientierte sich auch der Pferdezucht-, Reit- und Rennverein immer mehr turniersportlich. Die eigenen Reitturniere lösten 1963 endgültig die traditionellen beliebten Pferderennen ab; aus Jockeys wurden erfolgreiche Turnierreiter. Eine neu gegründete Turniergruppe veranstaltete 1954 an der Leutershausenerr Straße ihr erstes Reitturnier. Die ersten Reitlehrer waren Oskar Kemmet, Hermann Raiser und - später in den 60er Jahren - Alexander Schuster. Es würde zu weit führen, alle erfolgreichen Turnierreiter dieser Zeit zu nennen. Deshalb für alle stellvertretend: Fritz Fath. Chronist Philipp Gassner hat 1964 aufgeschrieben: "Er tut oft mehr für den Turniersport als in seinen Kräften steht."

Unter einigen Wiesen und Reitplätzen hatte sich in den 60er Jahren eine Reitanlage auf der Fohlenweide zum Vereinssitz und Trainingsgelände entwickelt. Ein Clubraum wurde gebaut, ein Reitplatz kam dazu, und 1964 konnten erstmals Pensionspferde in den vereinseigenen Stall einziehen. "Ein Pferdehotel auf der Fohlenweide!", jubelte der "Mannheimer Morgen". Doch die Heddesheimer Flächenplanung war eine andere: 1970 musste der Reiterverein dem Neubau der Grundschule weichen. Damals hart für die Männer, die mit viel Arbeit die erste Reitanlage geschaffen hatten. Aber im nachhinein war es ein Segen für die Reiterei in Heddesheim.

Von Heddesheim zur "LK"

Viele junge Sportler waren für den Pferdezucht-, Reit- und Rennverein in allen Sätteln erfolgreich. Alle zu nennen, würde den Rahmen sprengen. Aber eine Karriere begann in Heddesheim, die für die Reiterei in Baden-Württemberg besonders erfolgreich verlaufen ist: Die Rede ist von Christian Abel. Diplom-Agrarwirt Abel ist Geschäftsführer des Landesverbandes aller Pferdesportvereine und außerdem der Landeskommission aller Reitturniere. Also der höchste hauptamtliche Reitsportfunktionär in Baden-Württemberg. Abel lernte die Reiterei in den 50er Jahren beim besten aller Heddesheimer Lehrmeister: Bei Fritz Fath. Auf Flora und Axel startete er damals unter anderem auf dem Mannheimer Maimarkt. Abel ist heute nicht nur geprüfter Reitlehrer FN, sondern auch Turnierrichter für Springen und Dressur bis Klasse S.

An der Muckensturmer Straße

Am neuen Standort an der Muckensturmer Straße (der längst feste Bleibe der Heddesheimer Reiter geworden ist) eröffneten sich dem Reitverein ganz neue Möglichkeiten. Seit 1954 war der Land- und Gastwirt Werner Bühler Vorsitzender des Vereins. In den 70er Jahren, also mit dem Umzug, begann die Zeit der regen Bau- und Erweiterungstätigkeit.  Das neue Gelände wurde in Erbpacht überlassen, als Startkapital standen 170 000 Mark zur Verfügung, die der damalige Bürgermeister Fritz Kessler als Entschädigung für das Gelände auf der Fohlenweide zugestanden hatte. 1971 wurde mit dem Bau der ersten Reithalle begonnen - in Eigenarbeit versteht sich. Gleichzeitig entstanden ein Stall, Clubräum, ein Büro und sanitäre Anlagen: Im Herbst 1971 wurde die erste komplette Vereinsanlage eingeweiht.

Die Reiterei in der Region und im ganzen Land erfreute sich steigender Beliebtheit - und der Pferdezucht-, Reit- und Rennverein Heddesheim wuchs und wuchs. Immer mehr Mitglieder erforderten immer wieder einen Ausbau der Reitanlage. 1982 wurde eine neue Reithalle gebaut, der Stall auf mehr als 40 Boxen erweitert. Der Reiterverein lag stets im Trend; seit den 70er Jahren baute Liane Furche (geb. Busch) das Voltigieren zu einer kräftigen Säule des Vereinslebens aus. 

1997 würdigte der Deutsche Reiterverband FN das Engagement und vergab die sportlich hochkarätige "Bundessichtung  zur Teilnahme an der Europameisterschaft" nach Heddesheim. In den 90er Jahren wurde das Gelände durch einen Richterturm am Springplatz, ein Außenboxgebäude und eine Geländestrecke vervollständigt.

Fit fürs Jahr 2000

Zur Jahrtausendwende hat der Verein nach einem Vorstandswechsel im März 1999 - im Jahr des 75jährigen Vereinsbestehens große Anstrengungen unternommen, um den Ansprüchen eines Modernen Freizeit- und Sportbetriebes gerecht zu werden. Die Anlage wird verschönert und modernisiert, vor allem im Bereich des Wirtschaftsbetriebes. Fünf Arbeitsgruppen arbeiten daran, den Verein im Jubiläumsjahr fit zu machen fürs nächste Jahrtausend. Erstmals werden Ponys in den Reitbetrieb aufgenommen, die Jugend- und Breitensportarbeit ausgebaut, das Schulstunden-Angebot wird effektiviert. Erstmals in der Vereinsgeschichte stehen auch zwei hauptamtliche Ausbilder zur Verfügung: Joachim Ertz, der Fortgeschrittene und Turnierreiter trainiert, Liane Furche steht für die Jugend- und Breitensportarbeit zur Verfügung.

Bei einem "Tag der offenen Tür" im Mai pilgern die Pferdefreunde zu Tausenden zum Heddesheimer Reitverein.  Im gleichen Monat beginnt der Verein an den Samstagen mit regelmäßigen Ponyreiten für die Bevölkerung. Im Juli findet das Jubiläumsturnier erstmals mit Spring- und Dressurprüfungen der Kl. S statt.Der Pferdezucht-, Reit- und Rennverein Heddesheim fühlt sich seiner Tradition verpflichtet. Die Heddesheimer Pferdesportler haben aufgesattelt fürs Jahr 2000.

Die Vorsitzenden in 90 Jahren

 
 
1924-1945 Dr. Rolli
1945-1950 Hans Hoppner
1950-1954 Wilhelm Kippenhan
1954-1981 (!) Wilhelm Bühler
1981-1992 Fritz Alles
1992-1998 Hans Bach
1998-1999 Karin Bess
1999-2004 Roland Kern
2004-2007 Maic Sikorsky
2007-2009 Werner Kopp
2009-2013 Maic Sikorsky
 
2013-    Ulrike Math

Die Vereinsgeschichte in Zahlen und Fakten

1924 - Gründung des Pferdezuchtvereins durch ca. 35 zumeist nicht näher bekannte Personen (von den Gründungsmitgliedern sind Philipp Gassner, Wilhelm Kippenhan, Valentin Menz, Wilhelm Wanner, Dr. Rolli (Regierungsvorsitzender) und Michael Kemmet bekannt)

1925 - erster Renntag auf den Stockwiesen

1927 - Bau des ersten Stalles am südlichen Rand der Fohlenweide

1933 - Zwangsauflösung des Vereins durch eine Verfügung des Reichsnährstandes

1945 - Rückgabe an den Pferdezucht-, Reit- und Rennverein Heddesheim

1951 - Erstes Reitturnier auf dem ehemaligen Sportplatz an der Leutershausener Straße

1963 - letztes Pferderennen

1970 -Zuteilung eines neuen Geländes durch die Gemeinde, den heutigen Standort Muckensturmer Straße

1972 - Einweihung der ersten Halle und des Pensionsstalles

1974 - 50 jähriges Vereinsjubiläum

1982 - Erweiterung des Stalles und Errichtung einer zweiten Halle

1993 - Erweiterung der Anlage durch weitere Stallgebäude und Außenboxen

1994 - Errichten der Geländestrecke

1996 - Erweiterung der neuen Reithalle

1997 - Austragung der Bundessichtung im Voltigieren zur Europameisterschaft

1999 - 75 jähriges Vereinsjubiläum, Jubiläumsturnier erstmals mit Spring- und Dressurprüfungen der Klasse S